Fenster zur Welt
Fenster in der Fotokunst
Mit dem Blick durch ein Fenster wird eine Beziehung hergestellt – die zwischen dem Betrachter und dem Betrachtetem. Wird das Fenster als Motiv in der Fotografie genutzt, kommt eine weitere Sichtweise hinzu: die des Künstlers. Er nutzt das Fenster als Instrument, um seine Botschaft einzubringen. Wie faszinierend und vielschichtig die Metaphern sein können, zeigt der jährliche Tierenberg Super Circuit, der weltgrößte Fotokunstwettbewerb. Anhand einer Auswahl der diesjährigen Einreichungen zum Thema „Fenster zur Welt“ zeigen wir einige Aspekte auf.
Dr. Chris. Hinterobermaier , Geschäftsführer von Tierenberg Super Circuit ist begeistert vom Thema und der Qualität der Arbeiten: „Fotografen aus 110 Ländern haben Werke eingereicht und sich dem Thema Fenster auf sehr individuelle, kreative und feinfühlige Weise genähert. Spannend, was da an Ideen und Kreativpotential freigesetzt wurde. Die Quintessenz: Es bedarf offenbar der Fenster, um die Welt filterfrei, offen und kreativ wahrzunehmen.“
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Eine Schleuse zur (anderen) Welt


Eine Schleuse zur (anderen) Welt
Die Fotografie als Abbild der räumlichen Wirklichkeit stellt das Fenster in der Regel in einen räumlich-architektonischen Kontext. Im fotografischen Umgang mit dem Fenster kann man zwei unterschiedliche Ansätze erkennen: das Fenster als Symbol und das Fenster als Motiv.
Als Symbol markiert das Fenster eine Schleuse, eine virtuelle Grenze. Der Germanist und Historiker Rolf Selbmann spricht in seinem Buch „Eine Kulturgeschichte des Fensters“ von einem Sog, der die Differenz zwischen innen und außen unterstreicht bzw. verformt. Deutlich wird dies am Bild „Geometry“ von Viktor Kannunikov (Russland). Durch die gekippten Glasflächen in der ansonsten abweisenden, kühl-spiegelden Ganzglasfassade dringt etwas vom abgeschotteten Drinnen nach draußen. Der warme Orangeton, der sichtbar wird, unterstreicht diesen Effekt noch.
Dabei beschränkt sich das Bild der Schleuse nicht nur auf die existierende Welt. Von jeher diente das Fenster auch zur Trennung von Weltlichem und Religiösem – beispielsweise in den frühen Tempeln. Der Brauch bei Krankheit oder Tod das Fenster zu öffnen, geht in die gleiche Richtung. Das Bild „Light my life“ von The Eng Loe Djatinegoro (Indonesien) nutzt diese Symbolik. Der kleine Mönch betet nicht vor der Buddha-Statue, sondern hat sich dem durch eine Wandöffnung einfallenden Licht zugewandt.
Ausblick: Von der Sehnsucht zur Neugier

Ausblick: Von der Sehnsucht zur Neugier
Der Blick von innen nach außen wurde in der Malerei besonders in der Romantik gerne als Sehnsuchtssymbol verwendet, beispielsweise bei Caspar David Friedrichs „Frau am Fenster“. Als solches wurde es durch die verschiedenen Epochen immer wieder aufgegriffen und variiert. Eins haben fast alle Bilder gemeinsam: Sie zeigen den Blickenden in der Regel von hinten. Sein Gesicht – und damit seine Emotionen – bleiben dem Betrachter des Bildes verborgen. Die Person am Fenster wird zu Projektionsfläche für die eigenen Sehnsüchte.
Anders bei dem Foto „Early Morning“ von Jorgen Skaug (Norwegen). Durch die perspektivische Komposition sieht der Betrachter das Gesicht der alten Frau. Sie scheint sich vor ihrem Tagwerk einen kleinen Moment der Ruhe zu gönnen. Dabei lenkt sie ein Geschehen vor dem Fenster ab. Ob sie dem Impuls nachgibt und nach draußen geht, wissen wir nicht, es liegt aber im Rahmen des Möglichen. Damit ist aus Sehnsucht Neugier geworden.
Einblick: (heimliches) Schaufenster

Einblick: (heimliches) Schaufenster
Der Blick von außen in ein Fenster hat immer eine (un)gewollt repräsentative Komponente. Politiker oder gekrönte Häupter, die sich am Fenster zeigen, nutzen diese Wirkung ebenso wie Schaufenster zur Warenpräsentation. Geschieht das visuelle Eindringen vom öffentlichen in den privaten Raum heimlich, bekommt es eine voyeuristische Komponente. Diese Wirkung kann durch den Fensterrahmen, der die Szene einfasst und fokussiert, noch verstärkt werden.
Zhou Jianyong (China) nutzt bei dem Bild „Outside the window“ den Fensterrahmen, um sein Motiv einzuordnen. Die breite Gummilippe macht sofort deutlich, dass es sich um ein Zugfenster handelt. Aus dem Blick in das Gesicht des Mädchens wird ein flüchtiger Augenblick. Die zerkratzte Scheibe unterstreicht die Trennung zwischen drinnen und draußen. Der Betrachter fühlt sich tatsächlich außen vor.
Reflektion: Das mehrdimensionale Bild

Reflektion: Das mehrdimensionale Bild
Als abbildendes Verfahren nutzt die Fotografie das Fenster nicht nur als Symbol, sondern auch als Objekt – und macht sich die optischen Eigenschaften des Fensters zunutze. Beispielweise die Tatsache, dass Glas je nach Sonneneinfall und Beleuchtungsstärke spiegelt. Dadurch können unterschiedliche Ebenen in einem Bild miteinander verbunden werden.
Im Bild „Nova Scena“ von Gabriele Steiner treffen sozusagen in Echtzeit ganz unterschiedliche Dimensionen zusammen: moderne und klassische Architektur, Fläche und Raum, innen und außen. Die passende horizontale Gliederung beider Gebäude verstärkt die Überlagerung. Die augenförmige Skulptur und die Anzeige am Sockel des Gebäudes werden zu Sinnbildern des angestoßenen Sehprozesses.
Rhythmus: Sehmuster

Rhythmus: Sehmuster
Die visuelle Wahrnehmung des Menschen nutzt die Mustererkennung, um die Objekte in der Außenwelt zu identifizieren und zu klassifizieren. Das Fenster als gestalterisches Element zur Rhythmisierung der Fassade bietet daher auch für die Fotografie einen großen Reiz, diese Wahrnehmung gezielt anzuregen.
Die Faszination des Bildes „Matrix“ von Tomás San Andrés (Spanien) liegt darin, diese Fähigkeit anzusprechen ohne sie vollständig zu befriedigen. Über die Fensterreihen ist zwar eine horizontale Struktur und über die Fassadenverkleidung eine vertikale Struktur erkennbar. Die unterschiedlichen Fensterformate sowie die unregelmäßige Farbgebung der Fassade lassen aber schlussendlich keine durchgehende Regelmäßigkeit erkennen. Auch die teilweise geöffneten Fenster durchbrechen die Systematik, lenken ab von der Ordnung und lassen etwas vom bewohnten Innenraum nach draußen dringen. Aus abstrakt wird menschlich, aus Raster wird Fenster.