Kunst aus alten Fenstern
Ausblicke und Erinnerung
Fenster sind fragil. Als Öffnungen in einer Wand verbinden sie Außen- und Innenraum, erlauben Ein- und Ausblicke und sind die Augen eines Gebäudes. Was passiert, wenn man Fenster ihrem Kontext entzieht? Die Arbeiten von den Berliner Architekten Raumlabor, dem chinesischen Künstler Ai Weiwei und den niederländischen Büros bureau SLA und Overtreders W zeigen unterschiedliche Ansätze und Ideen der Verwandlung. In den letzten Jahren wurde so ein Trend geprägt, der sich nun auch in temporären Pop-Up-Stores, auf Theaterbühnen oder in den Bars und Cafés der Szenebezirke wiederfindet: Reduce, Reuse, Recycle!
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Aus Not wird Tugend: Noorderparkbar in Amsterdam

Aus Not wird Tugend: Noorderparkbar in Amsterdam
Nicht nur um alte Fenster ging es beim Bau der Noorderparkbar in Amsterdam – alle eingesetzten Baumaterialien sind Secondhand. Die Wirtschaftskrise, von der niederländische Architekturbüros besonders stark betroffen sind, war der Anstoß für bureau SLA und Overtreders W, eine Konstruktion ausschließlich aus Gebrauchtmaterialien zu initiieren. Gleichzeitig agierten die beiden Büros in einer BottomupInitiative als Geldbeschaffer, Baustoffhändler und Bauarbeiter.
Das gesamte Baumaterial wurde über die Internetbörse marktplaats.nl erworben. Daraus entstand ein ungewöhnlicher Prozess: Planung und Bau mussten zwangsläufig simultan geschehen, denn das Angebot änderte sich ständig und erst wenn der Zuschlag für einen Artikel sicher war, konnte mit den entsprechenden Bauteilen weiter geplant werden.
Die Tragstruktur der Noorderparkbar besteht aus den Stahlrahmen dreier SystembauModule, die ehemals in einem Krankenhaus eingesetzt waren. Eines der Module erhielt eine neue Fassade aus Fenstern unterschiedlicher Formate, seine Decke besteht aus verschiedenen Oberlichtern. Die vorgelagerte Terrasse wird von zwei aufeinander gestapelten Modulen gerahmt. Der Pavillon kann rundum mit Klappläden zum Schutz gegen Vandalismus verschlossen werden.
Neben den drei KrankenhausSystembauteilen wurden 42 Fenster, einige tausend Meter Holz, 55 Liter Farbe, zwei Toiletten, grüne und weiße Fliesen und zahlreiche weitere Einzelstücke, zumeist Reste aus HeimwerkerRenovierungen, eingesetzt. Die Innenwände der Bar bestehen aus Teilen einer Transportkiste, in der eine Milchabfüllanlage aus China in die Niederlande gelangt war, das Holz für die Klappläden von einem bankrott gegangenen Schalungsbauer.
Abbildungen: (c) bureau SLA & Overtreders W, Amsterdam
Monument der Erinnerung: Berlin Pavillon auf der Shanghai Biennale 2012

Monument der Erinnerung: Berlin Pavillon auf der Shanghai Biennale 2012
Die Berliner Kollegen von Raumlabor haben einen temporären Ausstellungsraum aus alten Fenstern gebaut. Das Architektenkollektiv brachte 2012 die bereits im Müllcontainer gelandeten Fenster eines Berliner Gebäudes nach Shanghai. Die Fenster eines vom Architekten Richard Paulick gebauten Wohnhauses in der einstigen Stalinallee, heute Karl-Marx-Allee, wanderten im Rahmen der Shanghai-Biennale in die chinesische Metropole. Die Architekten haben einen ihrer zwei Bürositze in dem Paulick-Gebäude. Als dort die alten Fenster gegen neue Modelle aus Isoglas ausgetauscht wurden, retteten Raumlabor einen Großteil der Paulick-Fenster, um aus den Elementen den Berlin-Pavillon auf der Biennale zu bauen. Richard Paulick, der bei Walter Gropius gelernt hatte und 1933 als Kommunist vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste, hatte schließlich bis 1949 in Shanghai im Exil gelebt und gearbeitet.
Die temporäre Installation „The International Ghost“ in einer alten Kontor-Halle auf der Shanghai-Biennale war ein Hybrid aus zwei Bauten Richard Paulicks. Kombiniert wurden sein erster Entwurf, das berühmte Stahlhaus in Dessau, mit dem einzigen Gebäude, das Paulick in China realisiert hatte: der Yao-Residenz. Für eine Zeit blickte man in Shanghai durch alte Fenster Richtung Berlin. Aber nicht nur das. Die Besucher konnten sich in dem aus den Paulick-Fenstern gebauten Berlin-Pavillon bei einer Tasse Tee über Leben und Werk des Architekten informieren und dabei besonders die Entwürfe entdecken, die leider nie gebaut worden sind.
Abbildungen: (c) Raumlabor
Recycle: Der Bauhaus re use Pavillon

Recycle: Der Bauhaus re use Pavillon
Ein weiterer Bau aus alten Fenstern hat seinen Ursprung ebenfalls in Dessau und steht seit dem letzten Sommer in Berlin. Blickte man einst durch diese Fenster aus dem Dessauer Bauhaus, schaut man nun durch sie auf die grüne Wiese. Der Pavillon ist ein mobiles und temporäres Gebäude aus zwei orangefarbenen Hapag-Lloyd-Containern aus Hamburg auf dem ehemaligen Flugfeld in Tempelhof. Das Besondere: Er besteht aus wiederverwendeten raumhohen Original-Fenster-Elementen aus dem Bauhaus in Dessau.
Die im Zuge der jüngsten Sanierung des Dessauer Bauhauses ausrangierten Fenster von 1976 sollten nach Wünschen der Stiftung Bauhaus einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden. Zeitgleich war man in Berlin auf der Suche nach einem temporären Gebäude für das Pionierprojekt „Lernort Natur“ auf dem Tempelhofer Feld. Der Pavillon sollte ein bis zwei Jahre nutzbar und mobil sein, aus recycelten Materialien bestehen, Lagerräume bieten und als „Grünes Klassenzimmer“ fungieren können.
„Die Fenster aus Dessau waren gewissermaßen übrig, und so trafen sich Baumaterial und Bedarf“, erinnert sich Robert Huber, der Initiator des Projekts „Bauhaus re use Pavillon“. „Auf die Seecontainer kamen wir, weil sie zufällig ein ähnliches Maß haben wie die Bauhaus- Fenster.“ Huber entwickelte mit seiner recyclingerprobten zukunftsgeraeusche GbR die Idee, die Dessauer Fensterelemente mit den Containern zu dem temporären, vollkommen demontier- und wieder verwendbaren Gebäude neu zusammenzufügen.
Template zur documenta 12: doppeltes Symbol des Verschwindens
Template zur documenta 12: doppeltes Symbol des Verschwindens
Es war das wohl spektakulärste Kunstwerk der documenta 12: Als Ai Weiwei 2007 in Kassel 1001 Türen und Fenster traditioneller Gebäude der Ming- und Qing-Dynastie (1368 – 1911) auf einem Sockel in der Karlsaue installierte, wollte er damit an die Häuser erinnern, die dem chinesischen Bauboom zum Opfer gefallen sind. „Template“(Schablone) hieß der monumentale Turm, der unweit der Aue-Pavillons zu einem der meistfotografierten Objekte der Kunstschau avancierte. Der chinesische Künstler hatte die Holztüren und –fenster zu vier Flügeln montiert und so arrangiert, dass sie den Hohlraum eines Tempel-Pavillons nachbildeten. Vier Tage nach der Eröffnung brach „Template“ durch ein Unwetter zusammen und sank wie eine Schiffsschraube auf die Wiese – einen Tag vor Ankunft eines potenziellen Käufers. „Das ist besser als vorher“, freute sich Ai Weiwei. „Jetzt wird die Kraft der Natur sichtbar.“ Die Erinnerung an die abgerissenen Häuser wurde durch die Zerstörung des Kunstwerks als Symbol des Verschwindens noch kräftiger, der Preis hat sich verdoppelt.