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Der Bezug zwischen innen und aussen

Carlo Baumschlager über das Fenster als funktionales
und architektonisches Element. Ein Gespräch

Carlo Baumschlager ist einer der renommiertesten Architekten Österreichs. Bekannt wurde er u. a. als Vertreter der Neuen Voralberger Schule. Heute leitet er gemeinsam mit Jesco Hutter das Büro Baumschlager Hutter Partners und lehrt als Professor für Architektur und Städtebau an der Akademie der Bildenden Künste in München. Blick.Beziehung.Architektur sprach mit Carlo Baumschlager über das Fenster in der Architektur, seine Aufgaben, seine Gestaltung, seine Grenzen und Möglichkeiten. 

 

Blick.Beziehung.Architektur: Der Volksmund sagt: „Fenster sind die Augen eines Hauses.“ Schließen Sie sich dieser Aussage an?

Carlo Baumschlager: Das Fenster hat unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen. Dabei geht es zum einen um die Blickbeziehungen. Zum anderen hat das Fenster die Aufgabe das Licht in den Raum zu bringen und so Atmosphäre herzustellen. Und natürlich muss ein Fenster auf die physikalischen Umstände reagieren. Das sind die drei Ebenen, die bei einem Fenster betrachtet werden müssen. 

 

Die Bedeutung des Fensters in der Architektur? An erster Stelle geht es um den Bezug zwischen innen und außen.

 

BBA: Welche Bedeutung hat für Sie als Architekturschaffender das Fenster? Wie gehen Sie mit dem Fenster als Gestaltungselement um?

C. B.: Es geht zuerst einmal um den Bezug zwischen innen und außen. Dabei stelle ich mir die Frage, wie viel ich von außen hereinholen will – an Eindrücken, Bildern, aber natürlich auch an Licht. Die zweite Frage, die beantwortet werden muss, ist die Anordnung des Fensters bezogen auf den Raum und dessen Funktion. Beides fließt zusammen in der Überlegung, wie ich mit dem, was von außen an Eindrücken und Helligkeit hereinkommt, eine Atmosphäre herstellen kann. Das sind die drei wichtigen Punkte bei der Gestaltung mit Fenstern. Dies nur auf eine formale Entscheidung herunterzubrechen, wäre zu wenig.  

BBA: Der Wunsch eine möglichst starke Beziehung zwischen Außen- und Innenraum herzustellen und möglichst viel Licht hereinzulassen hat besonders im Einfamilienhausbau zu großformatigen Fenstern bis hin zu ganzflächigen Verglasungen geführt. Brauchen wir nicht wieder mehr Schutz, mehr Intimität? 

C. B.: Ich glaube, die Frage der Intimität hat bei der Diskussion um die Größe der Fenster nicht den Schwerpunkt, den man sich vielleicht vorstellt. Natürlich muss der Bezug zum Außenraum Sinn machen. Dann ermöglichen moderne Fenster das Erleben der Qualitäten eines Außenraumes zu jeder Tages- und Jahreszeit. Der Trend zu immer größeren Fenstern geht mit den physikalischen Qualitäten einher, die wir zur Verfügung haben. Moderne Fenster sind inzwischen sehr dicht und bieten einen guten Sonnen- und Lärmschutz. Ein weit wichtigerer Aspekt hinsichtlich der Fenstergröße ist die vorhandene Distanz. Bei dem genannten Beispiel Einfamilienhaus gibt es in der Regel eine Distanz zur benachbarten Bebauung. Wird diese allerdings kleiner, beispielsweise in der Stadt, wenn die gegenüberliegende Bebauung sehr nahe kommt, wenn es starke Lärm-Emissionen gibt, spielt die Größe des Fensters natürlich eine andere Rolle. 

 

Moderne Fenster ermöglichen das Erleben der Qualitäten eines Außenraumes zu jeder Tages- und Jahreszeit.

 

BBA: Im urbanen Umfeld begegnet man bevorzugt der Lochfassade. Diese Aneinanderreihung von Fenstern auf einer großen Fassadenfläche erzeugt oft eine Rhythmik. Inwieweit ist das für Sie attraktiv bzw. eine weitere Möglichkeit mit dem Fenster umzugehen?

C. B.: Natürlich muss das Verhältnis von Loch zu Wand einen kompositorischen Gehalt haben. Wenn jemand Architektur betreibt und ordentliche Arbeit abliefern will, dann muss er sich mit dieser Frage beschäftigen. Bei städtischen Gebäuden geht es aber sehr stark auch um die physikalischen Umstände, die vorherrschen.  So muss das Fenster beispielsweise die Lärm-Emissionen bewältigen können. Dies entscheidet zum Teil auch über die Größe der Öffnung. Hier muss die Grenze zwischen gestalterischem Willen und Physik gefunden werden. 

BBA: Auch heute noch, trotz der fortgeschrittenen Entwicklung bei Schallschutz, Wärmeschutz etc.?

C. B.: Ja, natürlich auch heute noch. Das sieht man an der Diskussion zur Ganzglasfassade,  die wir selber auch gebaut haben – basierend auf dem Wissen, was das Material kann und welche ökonomische und ökologische Bedeutung daraus resultiert. Dadurch ist eine hohe Komplexität entstanden. So ist im Bürobau der Eintrag eines Fensters genau festgeschrieben. Wir wissen, dass im optimalen Fall der Glasanteil in der Fassade nicht mehr als 50 Prozent sein sollte. Geht er darüber hinaus, muss man die physikalischen Probleme ökonomisch lösen. 

BBA: Sie lösen solche Probleme oft über eine zweite Haut, die Sie vor die Fassade stellen und so eine zusätzliche Gestaltungsebene erzeugen. 

C. B.: Ja. Wenn die architektonisch-räumliche Idee es notwendig macht, dass der Fensterausschnitt über die von der Physik gesetzte Grenze hinausgeht, muss man überlegen, welche zusätzlichen Schichten man einführt, um das physikalische Problem zu lösen. Zweischalige Fassaden bieten Schallschutz und die Möglichkeit der Beschattung, damit der Licht- bzw. der Wärmeeintrag aufgrund der großen Öffnungen nicht zu hoch wird.

BBA: Kann über diese Gestaltungsebene Ihrer Meinung nach auch eine individuelle Komponente erzeugt werden, beispielsweise durch die Steuerung des Sonnenschutzes durch den Nutzer? Findet hier eine Aneignung statt, indem etwas von innen nach außen dringt?  

C. B.: Das hängt vom Gebäudetyp ab. Beim Einfamilienhausbau – Neubau oder Umbau – ist es meiner Meinung nach richtig, dass man den individuellen Vorstellungen des Nutzers Rechnung trägt. Dann hat der Sonnenschutz Auswirkungen bis hin zur Fenstergeometrie, Auswirkungen auf die Technologie die man verwendet, Auswirkungen auf die Gestalt, die ein Haus annimmt, wenn der Nutzer die Beschattung individuell verändert. Bei Bürobauten ist es natürlich etwas anderes. Hier wird der Sonnenschutz zentral gesteuert – mit allen bekannten Problemen. Das dahinterliegende Steuerungskonzept  richtet sich vor allem nach energetischen Aspekten und lässt wenig an individueller Gestaltbarkeit von Lichteintrag und Aussicht zu. 

BBA: Stichwort Umbau. Der Austausch von Fenstern ist ein klassischer Sanierungsfall. Einerseits bilden Fenster und Gebäude eine gestalterische Einheit, die charakteristisch ist. Andererseits entsprechen die Ausführung der Fenster und auch oft die Fensterausschnitte nicht mehr heutigen Ansprüchen. Plädieren Sie eher für erhalten bzw. nachbauen oder zugunsten moderner Ansprüche austauschen?

C. B.: Das lässt sich nicht grundsätzlich beantworten. Je nach Aufgabe, je nach Funktion, je nach Veränderung der Bedingungen muss man richtig reagieren. Grundsätzlich hängt die Sanierung von Fenstern zum großen Teil mit der Frage des Energiegewinns/-verlustes zusammen. Bei wichtigen oder historisch interessanten Gebäuden geht es jedoch darum, den Eindruck und die Verhältnismäßigkeit zwischen Wand und Öffnung zu erhalten – es sei denn, es ändern sich die Funktionen. Dann spielt natürlich das Fenster eine ganz andere Rolle, als es im ursprünglichen Zustand der Fall war. 

BBA: Wir danken Ihnen für das Gespräch.